Stereotypen im Deutschen Fernsehen und dessen Auswirkungen

- geschrieben von Maissa Lihedheb

Als ich aufwuchs, hatte ich viele Zweifel an mir selbst, weil ich bemerkte, wie anders ich im
Vergleich zu meinen Lieblingsfiguren im Fernsehen war. Zu meinen Problemen gehörte es
herauszufinden, wer ich war. Ob ich Araber oder Deutscher war. Es dauerte eine Weile, bis
ich lernte, meine tunesische und deutsche Identität unter einen Hut zu bringen. Als braunes
Mädchen mit muslimischem Hintergrund in einer mehrheitlich weißen Stadt aufzuwachsen,
war wie ein Außerirdischer auf Erden zu sein. Es gab bereits ein Stereotyp über mich,
basierend auf der Art, wie ich aussah. Ich fühlte mich für fast meine gesamte Jugend
unsicher und isoliert. Ich begann mich von meiner Kultur zu distanzieren, um wie die
Mehrheit „normal" zu wirken. Ich schämte mich, Araber zu sein, denn die einzigen Araber,
die ich und meine Kollegen kannten, waren die im Fernsehen dargestellten. Die
Gangster-Rapper, der Terrorist oder die Kriminellen.

Die Medien sind entscheidend für den Aufbau und die Verbreitung von Sichtweisen von
Menschen mit Migrationshintergrund und damit für die Sozialisierung von BIPOC's.
Die Repräsentation in den Massenmedien ist von Bedeutung, weil Repräsentation die
Teilhabe an der Gesellschaft darstellt.

Wir leben in einer ungerechten Welt und das ist uns allen bewusst. Doch bewusster wird es
vor allem, wenn man eine Frau of Color in einer männlich und weiß dominierten Industrie ist.
Unsere Stimmen gehen unter und um gehört zu werden müssen wir doppelt so viel
emotionale Arbeit reinstecken, oft leider vergeblich. Die Türen werden bewusst und
strukturell zugehalten. Reingelassen werden wir nur, wenn unsere Geschichten dem Bild der
Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Bis heute scheint Deutschland noch Schwierigkeiten
damit zu haben, die Geschichten von Frauen mit Migrationshintergrund zuzulassen obwohl
jede*r Fünfte in Deutschland Migrationsgeschichte hat. Dennoch scheint die Film und
Fernsehlandschaft dies nicht zu räpresentieren und wenn sie es tut, werden Menschen wie
wir nur ein dimensional und stereotypisiert dargestellt. Das Problem fängt schon strukturell in
Schulen an. Wer darf ans Gymnasium, wer nicht. Wer wird in den Filmschulen zugelassen
und wer nicht. Die Medienlandschaft spiegelt ganz genau wieder, wer zugelassen wird.
Denn die Medienlandschaft bleibt mehrheitlich weiß und männlich.

Einer der Gründe warum ich Film machen möchte, ist dass ich mich als Kind nie selbst
gesehen habe und was passiert mit einem Kind, dass sich selbst nicht sieht? Während man
aufwächst, versucht man sich mit Charakteren im Fernsehen zu vergleichen. Das Bedürfnis,
jemanden zu finden, der wie man selbst ist, ist vor allem in Teenager Jahren groß, und wenn
diese Darstellung nicht realistisch ist, entwickelt man eine falsche Wahrnehmung von sich
selbst. Das Kind fühlt sich nichtig und wenn die Fälle von stereotypischen Darstellungen
ständig wachsen, denkt der Zuschauer man müsse sich diesem Stereotyp anpassen.
Repräsentation in der fiktiven Welt bedeutet soziale Existenz und die Abwesenheit von
authentischer Repräsentation ist somit eine subtile Gewalt an der Legitimität der Identität.
Ich schrieb meine Bachelor Arbeit über das Thema "Symbolic Annihilation in Film of first
generation immigrants and its consequences on Identity" und meine Forschung ergab, dass
viele meiner Interview Partner an Depression und Selbsthass litten, eine der Ursachen: Sich
selbst nicht gesehen fühlen. Sie gehen ferner nicht überraschend davon aus, dass das
Publikum diese Darstellungen als reale Vergleiche verwendet, wenn bestimmte
Minderheiten immer wieder mit den gleichen Merkmalen dargestellt werden. Das Fernsehen
hat einen starken kulturellen Einfluss, der in jeder Art von Inhalten umgesetzt wird, die
präsentiert werden, und nicht nur auf „Kulturprogramme" beschränkt ist, d.h. Programme, die
sich mit Wissenschaft, Literatur und Kunst befassen. All diese Programme im Bezug au f
Nachrichten, Unterhaltung, Kultur, Kinder, Frauen, Bildung usw. können einen Einfluss auf
Einzelpersonen und Massen in Bezug auf die kulturelle Bildung haben. Darüber hinaus
hinterlassen Drama Serien und Filme im Fernsehen eine stärkere kulturelle Wirkung, die
ebenso schwerwiegend ist wie Studien, Programme und Seminare. Laut Defleur und
Ball-Rokeach (1976) haben die Begründer der Abhängigkeitstheorie festgestellt, dass durch
„Unterhaltung" gezeigte "Informationen" den gleichen Effekt haben kann wie das durch
„Nachrichten" gezeigte, wenn man bedenkt, dass Nachrichten für Informationen relevanter
sind als Unterhaltung. Das Publikum nutzt die meiste Zeit Unterhaltung, um seine Welt zu
verstehen und alles, was über seine direkte Erfahrung hinausgeht. Dies führt dazu, dass der
Einzelne Unterhaltungsmedien auswählt, um zu verstehen, was die „Norm" in der
Gesellschaft ist und wie er mit anderen umgeht. Fernsehen ist ein konstruiertes Bild einer
Umgebung, die nicht die Realität widerspiegelt, sondern unwahre Informationen, verzerrte
Stereotypen und fehlgeleitete positive Bilder präsentiert. Der Großteil des Publikums hat
kein Interesse daran, das, was ihm oder ihr präsentiert wird, mit anderen Quellen zu
vergleichen, und daher ist die Wahrnehmung des einzelnen Stereotyps oft verzerrt und
resultiert in Voreingenommenheit. Schließlich schaffen die Anhäufung von TV Einfluss und
der Mangel an direkter Erfahrung mit Menschen mit Migrationshintergrund eine künstliche
Welt, die für die Empfänger immer realer wird. Das gesamte Wertesystem eines Zuschauers
besteht aus Annahmen, Überzeugungen, Bildern, Ideologien und Perspektiven, die vom
Fernsehen auf der Grundlage der Kultivierungstheorie formuliert werden. Das Fernsehen
liefert subtile Werte, Regeln und Moral für das, was in einem sozialen Diskurs angemessen
und wichtig ist. Seit der Kindheit wird man im Fernsehen mit sich wiederholenden Lektionen
darüber konfrontiert, was aufgrund der breiten Weltanschauung richtig oder falsch ist.

Menschen mit Migrationshintergrund, werden meist als Objekte von Aktionen im Fernsehen
wahrgenommen. Nur selten können sie ihre eigenen Handlungen beeinflussen. Aufgrund
der Macht des Fernsehens als Übertragungsinstrument ist die stereotypische Darstellung
von BIPOC's unbewusst mit dem Empfänger verbunden und gründlich recherchierte und
reale repräsentierte Lebensbedingungen von Menschen mit Migrationshintergrund sind
immer noch kein Thema für fiktives Storytelling. Das deutsche Fernsehen verpasst daher die
Chance, eine interessante und vielfältige Kultur zu repräsentieren. Zuwanderer und BIPOC's
haben daher häufig nicht das Bedürfnis, deutsche Produktionen zu sehen. Es scheint, dass
die Produzenten entweder nicht über die Lebensbedingungen von Bürgern mit
Migrationshintergrund Bescheid wissen oder sie denken, dass dies nicht unterhaltsam
genug ist. Unsichtbarkeit oder negative Darstellung von Minderheiten in den Medien leugnen
die Existenz in der Gesellschaft. Repräsentation könnte vor allem auch intern Menschen aus
Einwanderer Familen helfen, sich mit internen Problemen zu befassen. Zum Beispiel erhöht
die Ausstrahlung einer Fernsehsendung zur Hauptsendezeit, die von Familien aller sozialen
Schichten und Hintergründe im ganzen Land (z. B. Eastenders) gesehen werden und sich
mit Fragen der Homosexualität in muslimischen Gemeinschaften oder zwischen
verschiedenen ethnischen Gruppen ihrer bevorzugten Charaktere befasst, die
Wahrscheinlichkeit des Selbstvertrauens von Minderheiten zur Kommunikation Tabuthemen
innerhalb der Familie, wenn sich ihre Lieblingsfiguren mit ähnlichen Themen befassten. Da
laut der Kultivierungstheorie fiktive Medien Meinungen und Ansichten darüber prägen, wie
die Gesellschaft funktionieren sollte und was akzeptabel ist. Die Theorie gilt auch für das
weiße deutsche Publikum. Wenn eine der bevorzugten Hauptfiguren in einer hypothetischen
TV-Show zur Hauptsendezeit einen Hijab tragen würde, könnte das Publikum
möglicherweise akzeptieren, dass ihre Kindergärtnerin einen Hijab trägt. Die Hijabi wird nicht
länger als anders angesehen, da sie täglich in ihrer Lieblingssendung zu sehen ist. Die
Beziehung zwischen den geskripteten Inhalten im Fernsehen und der Schlussfolgerung, die
das Publikum aus der Aufdeckung rassistischer und ethnischer Stereotypen zieht, führt
dazu, dass das Publikum etwas über Einwanderer der ersten Generation und ihre Merkmale
erfährt, basierend darauf, wem sie im Fernsehen dargestellt sind.

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Maissa Lihedheb, in Deutschland als Tochter tunesischer Einwanderer geboren. Sie studierte Medien- und Entertainment Management und schrieb ihre Dissertation über "Symbolische Vernichtung in Massenmedien und ihre Auswirkungen auf die Identität von Einwanderern der ersten Generation".  Maissa Lihedheb ist Filmemacherin, Kuratorin und Co Founderin von Bipoc Film Society und hat nun zehn Kernmitglieder.